Dr. Sigmund Wolf

Verdienstvoller Bürger, Arzt und Stadtverordneter jüdischen Glaubens

Einer der bekanntesten Juden in Linz war Dr. Sigmund Wolf, nach dem der Platz vor dem Stadtarchiv benannt ist. Dr. Wolf wurde 1874 in Hochstätten geboren und kam 1904 als Assistenzarzt aus Würzburg nach Linz. 1907 wurde er in die Linzer Gesellschaft aufgenommen, denn er war am Kaisergeburtstag dazu ausersehen, beim abendlichen Kommers der Honoratioren das „Kaiser Hoch“ auszubringen. Sein Sohn besuchte das Linzer Gymnasium. 1911 bezog Dr. Wolf mit seiner Familie – Frau, Sohn und pflegebedürftiger Schwiegermutter – eine Villa Am Sändchen und eröffnete dort eine Praxis. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Stabsarzt teil.

Dr. Wolf war vielfach engagiert. Er war Vorsitzender des Ortsverbands der Deutschen Demokratischen Partei, Stadtverordneter, Mitglied im Gesundheits- und Fürsorgeausschuss und in der Casino-Gesellschaft. Außerdem war er der Erste Vorsitzende des Ortsverbandes für Leibesübungen und nicht zuletzt Vorstand der Synagogengemeinde. Der Schwerpunkt seines kommunalpolitischen Engagements lag auf den Gebieten Kultur, Sport und Gesundheit. 1919 sprach er sich vor allem aus wirtschaftlichen Gründen leidenschaftlich gegen die Besetzung des neutralen sogenannten „Flaschenhalses“ und somit auch der Stadt Linz aus. Bei der Feier des jährlichen „Verfassungstages“ am 11. August 1929, der traditionell mit einer großen Sportveranstaltung begangen wurde, hielt Dr. Wolf als Vorsitzender des Ortsverbandes für Leibesübungen vor den Sportlern, Gästen und zahlreichen Zuschauern am Rheinufer einen flammenden Appell für die Verfassung und die Weimarer Republik. Auch für seine Wohltätigkeit war Dr. Sigmund Wolf bekannt, er galt als „Arzt der Armen“. Er bezahlte etwa bedürftigen Eltern die Einkleidung ihrer Kommunionkinder und behandelte ärmere Leute kostenlos. Gerade das machte ihn 1938 zum ausgesuchten Ziel der Novemberpogrome.

Als im November 1931 der Linzer Bürgermeister Dr. Paul Pieper der NSDAP erstmals die Niederlegung eines Kranzes mit Hakenkreuz am Kriegerdenkmal genehmigte, erhoben die Stadtverordneten Dr. Wolf und Robert Bunge von der SPD hiergegen scharfen Protest. Dr. Wolf sah die Gedenkstätte dadurch entweiht und fühlte sich als Kriegsteilnehmer persönlich verletzt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 musste er aus dem Stadtrat ausscheiden, der Ende 1933 komplett durch NS-Ratsherrn ersetzt wurde. Der Vorstand des Ortsverbandes für Leibesübungen, dem Dr. Wolf angehörte, hatte schon im März im Zuge der Gleichschaltung komplett zurücktreten müssen. Sein Sohn Hans Ludwig emigrierte im selben Jahr in die USA. Als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs durfte Dr. Wolf entgegen der Nürnberger Gesetze noch bis 1938 als Arzt praktizieren, dann wurde auch ihm die Approbation entzogen. Auch die Eingaben seines Nachbarn beim „Leiter der deutschen Ärzteschaft“ konnten daran nichts ändern.

Während des Novemberpogroms am 10. November 1938 war das Haus von Dr. Wolf, wo sich seine Frau und deren 80-jährige, pflegebedürftige Mutter befanden, erstes Ziel der Gewalttäter. Ein SA-Trupp verschaffte sich dort Zutritt und zerstörte die gesamte Inneneinrichtung; ein wertvoller Instrumentenschrank wurde umgestürzt, Möbel zerschlagen, der Kronleuchter von der Decke gerissen, Wäsche aus dem Schrank genommen und in den Garten geworfen. Die Wohnung wurde regelrecht ausgeplündert. Nur wenige Linzer standen der Familie Wolf mutig und öffentlich bei, darunter Dina Prangenberg, obwohl sie der Rasseschande bezichtigt wurde, und auch die Familien Klein und Weckwarth. Nach den Erlebnissen des Novemberpogroms verkaufte Dr. Wolf verkaufte sein Haus und emigrierte 1939 mit seiner Familie über Kuba in die Vereinigten Staaten, wo er 1952 starb. Den Kontakt nach Linz ließ er jedoch nicht abreißen, wie ein reger Briefwechsel mit der Familie Hürter zeigt, in deren Haus Auf dem Hunsrücken er über Jahre seine Praxis hatte.

 

Mit Dr. Sigmund Wolf verlor die Linzer Bürgerschaft eine Persönlichkeit, für die Toleranz und Humanität keine leeren Begriffe waren. Sein Eintreten für die Republik und ihre Verfassung und seine Kritik am Nationalsozialismus hatten den Hass der Anhänger des Systems auf sich gelenkt – darunter auch viele, denen er als Arzt zur Seite gestanden hatte. Die Stadt Linz verlieh ihm 1949 für seine Verdienste um die Stadtgemeinde die Ehrenbürgerwürde. 1991 wurde der Platz an der Servitessenkirche nach ihm benannt und dort auch eine Gedenkstätte für die Linzer Opfer des Holocausts errichtet. 2022 wurde der Platz neu gestaltet und am 9. November im Rahmen einer Gedenkfeier eröffnet.