Geschichte der jüdischen Gemeinde

Sieben Jahrhunderte jüdisches Leben in Linz

Die Anfänge

Der früheste Hinweis auf jüdisches Leben in Linz stammt aus dem 13. Jahrhundert, einer Zeit, als das Dorf sich zur Stadt entwickelte. Der Zisterziensermönch Caesarius von Heisterbach erwähnt in seinen Wundergeschichten um 1220 ein jüdisches Mädchen, das in der Linzer Pfarrkirche getauft worden sein soll. Zwischen 1255 und 1260 sind in den Kölner Schreinsurkunden weitere aus Linz stammende Juden genannt: das Ehepaar Vivelinus und Kela und deren Söhne Leon, verheiratet mit Bela, und Menachem, verheiratet mit Aleydis. 1333, als die Stadtwerdung längst vollendet ist, werden in einer Linzer Schuldurkunde erneut Juden genannt. Es ist jedoch nicht sicher, ob diese tatsächlich in Linz ansässig waren. 1342 wird in Nürnberg ein Jude aufgenommen, der als Moyses von Linz bezeichnet wird und somit zuvor hier gelebt haben dürfte.

Zu dieser Zeit später gab es vermutlich – zumindest zeitweise – in Linz schon eine jüdische Gemeinde mit mehreren Familien. Darauf deutet auch die Straßenbezeichnung „Judengasse“ hin, die 1356 in einer Urkunde auftaucht. Zu ihrer Lage kann jedoch ebenso wenig gesagt werden wie zu der Frage, ob es in Linz im 14./15. Jahrhundert eine Synagoge und einen jüdischen Friedhof gab. Sehr wahrscheinlich hingegen ist, dass in der Zeit der großen Pestepidemie 1348/49 – und möglicherweise auch schon früher – Juden auch in Linz Opfer von Pogromen wurden. Es ist allerdings nicht bekannt, wie diese Pogrome in Linz abliefen und wie viele Juden ihnen zum Opfer fielen.

 

 

 

Entwicklung und Emanzipation der Gemeinde

Juden waren als Minderheit im Spätmittelalter und auch noch Jahrhunderte danach rechtlich, wirtschaftlich und religiös isoliert. Noch bis Ende des 18. Jahrhunderts war ihnen durch die kurfürstlichen Judenordnungen die Ausübung fast aller Handwerke verwehrt und ihr hauptsächlicher Erwerbszweig daher der Handel, vor allem der Geldhandel und die Pfandleihe. Juden durften außerdem im Allgemeinen keine Immobilien erwerben, sollten nicht mit Christen zusammen wohnen und an hohen christlichen Feiertagen und bei Prozessionen möglichst das Haus nicht verlassen. Mit dem Übergang der Stadt Linz an Nassau und 1815 schließlich an Preußen setzte eine allmähliche Emanzipation ein. Aber erst 1869 wurden die Juden den Christen rechtlich völlig gleichgestellt.

Die jüdische Gemeinde in Linz blühte Anfang des 18. Jahrhunderts auf und das bedeutete auch einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung. 1725 kauften der Vorsteher der jüdischen Gemeinde und dessen Ehefrau Brunella ein Haus in der Neustraße (heute Hausnummer 20) und wurden damit als erstes jüdisches Ehepaar öffentlich und ohne Einspruch seitens der christlichen Bewohner Eigentümer eines in der Stadt gelegenen Anwesens. Das Haus entwickelte sich zum Zentrum der jüdischen Gemeinde, die sich in einer Betstube im Obergeschoss versammelte, wo auch die Kinder der Gemeinde unterrichtet wurden. Seit 1844 gab es eine jüdische Privatschule, 1851 wurde eine neue Synagoge mit Platz für 250 Personen eingeweiht, 1854 der Friedhof „Am Wolfsacker“ geschaffen.

 

 

 

Integration

1845 erlangten Juden erstmals das aktive und passive Wahlrecht und waren von da an auch in Linz fast durchgängig mit einem Sitz im Stadtrat vertreten. Hermann Cahn vertrat von 1886-1893 sogar die Stadt Linz im Kreistag. Dennoch gab es immer wieder Spannungen zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung, etwa zu Beginn der 1840er Jahre, als Linz mit schweren wirtschaftlichen Problemen kämpfte, oder auch während des Kulturkampfs, befeuert durch die Linzer Presse des Redakteurs Christian Krumscheid mit explizit antisemitischen Veröffentlichungen.

Die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben war bis Mitte des 19. Jahrhunderts für die jüdischen Linzer schwierig, denn dieses spielte sich im Wesentlichen in den traditionell christlichen Vereinen ab, in die Juden nicht eintreten konnten. Erst die Gründung von konfessionell ungebundenen Vereinen wie der Casino-Gesellschaft 1847, von Karnevalsgesellschaften, Kegelclubs, dem Turnverein und anderen Vereinen baute die Hürden zwischen jüdischer und christlicher Gemeinschaft ab. Um 1900 waren mehr als Zweidrittel der jüdischen Männer in Vereinen und Vereinigungen engagiert. Den Frauen hingegen bot neben Tanzkränzchen, Bällen, Theater und Konzerten vor allem die Gründung des Vaterländischen Frauenvereins 1914 die Möglichkeit zur Integration.
 

Das gesellschaftliche Miteinander entwickelte sich so weit, dass sich Juden an Feierlichkeiten anlässlich von Bischofsbesuchen beteiligten und ihre Häuser schmückten und die christliche Bevölkerung ihrerseits Anteil an den Jubiläen jüdischer Familien nahm, insbesondere Goldenen Hochzeiten. Am Ersten Weltkrieg nahmen 19 jüdische Männer Teil, einer von ihnen, Paul Wallach, fiel im November 1914 vor Ypern. Nach dem Krieg fanden sich die Veteranen aller Konfessionen im örtlichen Krieger- und Soldatenverein zusammen.

Zu Beginn der 1930er Jahre war die jüdische Gemeinde in Linz, die zu dieser Zeit 59 Personen zählte und somit gut ein Prozent der Bevölkerung ausmachte, weitgehend integriert und geachtet. Ihre Mitglieder gehörten mehrheitlich dem gehobenen bzw. gutsituierten Bürgertum an. Genannt sei etwa das Kaufhaus Hirsch, die Zigarettenfabrik Merkur und der Kolonialwarengroßhandel Wallach oder die Cahn’sche Mühle.

 

 

 

 

Verfolgung, Ausgrenzung, Entrechtung

In den 1920er Jahre kam es auch in Linz zu einem verstärkten Auftreten rechtsgerichteter Gruppierungen. Schon Ende Juni 1920 wurde die Außenwand der Linzer Synagoge mit schwarzen Hakenkreuzen beschmiert. Im September 1929 führten Anhänger der NSDAP wilde Plakatierungsaktionen durch und beklebten dabei auch das Geschäftshaus Hermann Hirsch am Burgplatz. Bürgermeister Dr. Paul Pieper tat das zunächst noch als Dummejungenstreiche ab. Aber die steigende Arbeitslosigkeit verschärfte 1930 das Klima drastisch. Im November 1931 genehmigte Pieper der NSDAP erstmals die Niederlegung eines Kranzes mit Hakenkreuz am Kriegerdenkmal. In den Jahren zuvor hatte er diese noch von Amtswegen entfernen lassen.

Seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten häuften sich die Übergriffe. Die Verfolgung begann mit dem Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April 1933. Diskriminierung und Ausgrenzung von Juden steigerten sich, auch körperliche Übergriffe nahmen zu. Die Außerkraftsetzung wesentlicher Grundrechte, das Verstummen jeglicher Opposition und die Passivität weiter Bevölkerungskreise wirkte sich für die Juden verheerend aus.

Dennoch hatte der größte Teil der Juden zunächst die Absicht, in Deutschland als gute Deutsche zu bleiben. Ende 1934 fand in der Linzer Synagoge ein Vortrag statt zum Thema „Arbeit und Schicksal des deutschen Judentums – Wir wollen gute Deutsche sein aber auch unser Judentum achten.“ Nach dem Umschwung in Deutschland wolle man ein neues Leben aufbauen. Anfang 1935 ging das Casino-Gebäude an die NSDAP über und wurde zum „Haus der Staatsjungend und NSDAP“ umfunktioniert – die örtliche Schaltstelle des Regimes, von der aus die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung gesteuert wurden – Ironie der Geschichte, dass es eines der wenigen Gebäude in Linz sein sollte, das im von den Nationalsozialisten entfachten Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde.

 

 

 

Novemberpogrom 1938

Viele Linzer Juden flohen vor dem Terror der Nationalsozialisten in die Emigration. Am 12. Juli 1938 verkündete das Nationalblatt: „Linz wird langsam judenfrei.“ Am 10. November 1938 wurde die jüdische Gemeinde zur Zielscheibe der Novemberpogrome. Alle jüdischen Männer wurden von der Polizei verhaftet und abgeführt. Anschließend schwärmten auf Geheiß des Linzer Ortsgruppenleiters die führenden SS- und SA-Leute sowie zahlreiche Helfershelfer aus, insgesamt 30 bis 40 Mann. Diese verschafften sich gewaltsam Zutritt zu jüdischen Wohnungen, Häusern und Geschäften und zerschlugen die Einrichtung. Viele Wohnungen wurden regelrecht ausgeplündert. Einer der Hauptanführer soll sich mit den Worten: „Das war der schönste Tag meines Lebens“ über das Zerstörungswerk geäußert haben. Passanten und Nachbarn, die all dies miterlebten, verhielten sich aus Angst ruhig und passiv. Mit nur wenigen Ausnahmen gab es weder offenen Widerspruch noch laute Kritik.

Die Ausschreitungen gipfelten in der Entweihung und Zerstörung der Synagoge. Die Einrichtung wurde demoliert, die heiligen Bücher geschändet. Die Täter steckten das Gotteshaus nur deshalb nicht in Brand, weil dies die umliegenden alten Fachwerkhäuser gefährdet hätte. Thorarollen, -kronen und –zeiger, Altardecken und Thoramäntel lagen unter den Trümmern. Nur wenige Tage nach den Pogromen wurde die jüdische Gemeinde gezwungen, die Synagoge umgehend abreißen zu lassen. Dies geschah nicht, weil sich ein Interessent für das Gebäude meldete. Ihm verkaufte die jüdische Gemeinde ihre Synagoge zwangsweise für 500 Reichsmark. Der neue Besitzer musste sich verpflichten, das Äußere des Gebäudes so herzurichten, dass es in nichts mehr an die bisherige Benutzung als Synagoge erinnerte.

 



Deportation und Holocaust

1939 lebten in Linz noch 20 Juden, meist ältere Menschen, denn die jungen Gemeindemitglieder hatten Linz nach und nach in Richtung USA, Palästina und Südamerika verlassen. Insgesamt 20 Personen retteten sich durch Emigration vor dem Holocaust. Für die Zurückgebliebenen begann nun die Zeit der Ghettoisierung und Deportation. Im September 1941 wurden die in Linz verbliebenen Juden gezwungen, ihre Häuser zu räumen und in zwei sogenannte Judenhäuser Auf dem Berg und Am Sändchen zu ziehen, wo sie auf engstem Raum zusammengepfercht waren. 1942 dann erfolgte ihre Deportation, teils mit unbekanntem Ziel, teils nach Theresienstadt und teils nach Auschwitz. Niemand von ihnen kehrte lebend zurück.